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Gibt es „die Pariserin“? Lindsey Tramuta räumt in „La Parisienne“ mit Klischees auf - DIE WELT

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Googelt man spaßeshalber „How to be German“, kommen Antworten, bei denen man gleich einschlafen möchte: Apfelsaftschorle trinken, gerne „tja“ sagen und daheim in Hausschuhen herumschluffen. Nirgendwo wird nach Geschlechtern differenziert, alles scheint gleich bräsig. Anders bei „How to be French“: Es gibt über 24 Millionen Einträge, es geht um Parfüm, weibliche Stilfragen und die Beantwortung der bohrenden Frage, wie man (als Frau) allzeit natürlich und selbstverständlich sexy sein kann.

Jede Frau – oder zumindest fast jede – wollte bisher so sein wie französische, genauer: Pariser Frauen, die toller sind als nordeuropäische Penatencreme-Gesichter mit dicken Handgelenken. Sie sind irgendwie immer jung, fragil und anders, mit zusseligen Haaren wie frisch aus dem Bett. Sie werden von Wein nicht dick, riechen gut und sehen in knittrigen Trenchcoats schön aus und nicht wie ein darin gefangenes Walross.

Nun will die amerikanische und seit etwa zehn Jahren in Paris als Autorin lebende Lindsey Tramuta mit ihrem Buch „La Parisienne“ dieses Bild grundrenovieren. Die Pariserin von heute, so die These, ist nicht zwangsläufig schlank, weiß und gelangweilt. Und möglicherweise raucht und trinkt sie nicht einmal. Sie ist divers, politisch höchst selbstbewusst, radikal selbstbestimmt und einkaufssüchtig. Ersetzt hier nicht ein „weiblicher Mythos“ den nächsten?

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Der „alte“ Mythos der Pariserin, wie sie uns mit Brigitte Bardot oder Catherine Deneuve begegnete, kreist um weiblichen Sex-Appeal. Seit Serge Gainsbourgs Stöhn-Vertonungen gilt französischer Sex als besonders gut, und man denkt an die tolle Szene aus „Die Verachtung“ von Godard: Brigitte Bardot liegt ohne Kleider auf dem Bauch auf dem Bett und daneben, angezogen und lässig aufgestützt, Michel Piccoli, den sie befragt.

„Siehst du meine Füße im Spiegel?“ „Ja.“ „Sind sie nicht sehr hübsch?“ „Ja, sehr.“ ... „Liebst du auch meine Knie?“ „Ja, ich liebe deine Knie sehr.“ ... „Siehst du meinen Po im Spiegel?“ „Ja.“ „Denkst du, mein Po ist hübsch?“ „Ja, sehr.“ „Und meine Brüste, liebst du sie?“ „Ja, enorm.“

Es geht weiter mit dem Gesicht, dem Mund. Die Szene ironisiert das klassische Kino- oder Straßenverhalten: Die Frau wird von dem Blick des Mannes – des Publikums, der Passanten, Frauen, die anderen Frauen eifersüchtig oder wohlwollend nachstieren – in begehrenswerte Körperteile zerlegt, zu einem dem Betrachter untergeordneten Fetisch.

2015 wurde das Buch „How to be Parisian wherever you are. Liebe, Stil und Lässigkeit à la française“ von Caroline de Maigret und Anne Berest zum internationalen Bestseller, der diese Rolle weiterspann und den Mythos der französischen Frau betonierte. Der zentrale Tipp der Autorinnen: „Sei allzeit bereit. Ob beim Baguettekauf. Ob sonntagmorgens beim Bäcker, beim Kippenkaufen mitten in der Nacht oder wenn du die Kinder von der Schule abholst – man kann nie wissen.“

Die „sexuell befreite Lolita“

Im Film gilt Brigitte Bardot als erste schöne, französische Frau im emanzipierten Sinne. Nach „Und Gott erschuf die Frauen“ nannte die Cheftheoretikerin des Feminismus, Simone de Beauvoir, sie eine „sexuell befreite Lolita“. Seit dieser Rolle muss die französische Frau schön und wild sein, am besten nackt um eine Sandburg tanzen oder sich eingewickelt in Laken im Garten rekeln. Wie passt das vor allem über Bilder vermittelte Stereotyp der ambivalent zwischen Laster und Unschuld schwankenden Französin zu dem Pariser Straßenbild von heute, von dem Tramuta in „La Parisienne“ schreibt?

In der Tat, relevante französische Frauen – die mit dem Prix Goncourt ausgezeichnete Schriftstellerin Leïla Slimani, die Première Dame, die Autorin Sophie Fontanel, die Philosophin Julia Kristeva – sind alles andere als oder nur bedingt Sexbomben.

Und diese begegnen einem auch auf den berühmten Boulevards der Hauptstadt nicht – oder kaum. Doch die schlanke, ranke Pariserin dräut weiterhin, auf Leinwänden, Laufstegen, Instagram-Accounts und in dem neuen, selbstgefälligen Buch von de Maigret über das Altern der schönen französischen Frau, die natürlich weiterhin schön bleibt, auf Partys geht und Kleidung trägt, die den fest gebliebenen Po betont.

Fast Kulturministerin: Die Schriftstellerin Leïla Slimani. Ein Foto aus „La Parisienne“
Fast Kulturministerin: Die Schriftstellerin Leïla Slimani. Ein Foto aus „La Parisienne“
Quelle: © Joanne Pai, Midas Collection

Doch braucht jedes Märchen ein Korrelat in der Realität? Die nun fast ausgestorbene sexy Pariserin ist ebenso Klischee wie die neue. Das Buch „La Parisienne“ versucht, den Mythos „sexy Pariserin“ zu entzerren, ganz im Sinne des Zeitgeistes diverser und politischer zu gestalten.

„Die Pariserin kommt aus den Vororten, aus dem Ausland oder hat Eltern, die als Immigranten kamen. Die Vielfalt rüttelt die Pariser Kultur auf“, schreibt sie und polemisiert mit derartigen Leitsätzen gegen die dünne, weiße, sich vor dem Patriarchenblick rekelnde und einknickende heterosexuelle Frau, stellt diesem Typ vermeintlich authentischere Versionen entgegen: „Die Frau, die ich sehe, ist weiß, schwarz, Araberin, Jüdin, Muslima, Asiatin, Afrikanerin, Südamerikanerin, schlank, mollig, klein und hochgewachsen. Manche sitzen in Rollstühlen. Manche legen Wert auf Stil, manchen ist es egal, was der westliche Stil vorschreibt.“

Der feministische Kampf habe verschiedene Gesichter, schreibt Tramuta. Nur an Schönheit darf er nicht interessiert sein, auf nichts anspielen, was Komplexe in anderen auslösen könnte. Tatsächlich tauchen der Begriff der „Schönheit“ und das Adjektiv „schön“ meist abfällig und in Zusammenhang mit dem auf, was Tramuta delegitimiert: „Weiße, bürgerliche, cis-sexuelle und leistungsfähige Frauen“. Am interessantesten ist hier Tramutas Deutung von Simone de Beauvoir: Der heutige, moderne und von Tramuta propagierte Feminismus stehe in der Tradition de Beauvoirs, sei „soziale Bewegung, die für Gleichheit und gegen sexuelle Benachteiligung kämpft“.

Von der Architektin bis zur Antiquarin

Allerdings verstand Simone de Beauvoir unter „Emanzipation“ das Prinzip der freien Wahl – auch die Wahl, aussehen zu wollen wie Frauen auf Filmplakaten. Im Buch „Das andere Geschlecht“ findet sich der berühmteste Satz der Philosophin: „Man wird nicht als Frau geboren, man wird dazu gemacht.“ Dies bedeutet, dass Frauen nicht nur durch ihre Biologie, sondern vor allem durch gesellschaftliche Vorstellungen von Weiblichkeit in Rollen gedrängt werden: „Jungfrau“, „verheiratete Frau“, „Mutter“, „Prostituierte“ etc.

Allerdings sollten Frauen, so de Beauvoir, die Wahl haben, diesen Rollen zu entsprechen oder sie zu durchbrechen. Der heutige Feminismus hat diesen Gedanken pervertiert und sich im Wald des sozialen Konstruktivismus verlaufen: Wir seien rein gesellschaftlich generierte Wesen, auf Erotik, gar Schönheit komme es nicht an, so wird jetzt argumentiert, außer diese sei im Objekt zu finden, genauer, im Kaufobjekt.

Tramuta präsentiert Frauen mit verschiedenen ethnischen oder migrantischen, beruflichen, sexuellen und körperlichen Hintergründen, viele davon selbst ernannte Aktivistinnen, Pionierinnen, Kreative: Aline Asmar d’Amman (Architektin), Elena Rossini (Filmemacherin), Inna Modja (Sängerin), Ajiri Aki (Antiquarin).

Kämpft für mehr Frauen hinter der Kamera: Filmemacherin Elena Rossini
Kämpft für mehr Frauen hinter der Kamera: Filmemacherin Elena Rossini
Quelle: © Joanne Pai, Midas Collection (3)

Es sind nur wenig bekannte Frauen, die die Autorin in kurzen, bebilderten Essays vorstellt, die sich lesen wie die Intellektuellenarrangements narzisstisch-komplexbeladener Facebook-Collagen. Es sind allesamt kluge, attraktive Frauen, die das Richtige sagen, denken, essen, tragen und vor allem: kaufen. Am Ende jedes Kapitels empfehlen die Frauen ihr Lieblingsgeschäft (die Inhaberin muss weiblich sein).

Elisa Rojas, Rechtsanwältin, antwortet auf die Fragen nach ihrem von einer Frau geführten Lieblingsgeschäft: „Der Vintage-Shop Mamz’Elle Swing. Er wird von einer wundervollen Frau geführt, die sich von Kopf bis Fuß im Look der Vierziger/Fünfziger kleidet. Sie verkauft Kleidung und Accessoires. Ich liebe diesen Laden!“ Und Elena Rossini, „Filmemacherin, Kamerafrau und Aktivistin“, möchte zwar „mit Illusionen in Bezug auf Schönheit brechen“, dafür aber „selbstbewusstere Bürger und Verbraucher aus den Menschen machen“. Und Victoire de Taillac von Bully Kosmetik sagt es noch ein bisschen schonungsloser: „Je besser die Kunden informiert sind, desto mehr kaufen sie für sich selbst.“

In ungefähr jedem Film, in dem Amerikanerinnen – einst Grace Kelly, Audrey Hepburn – Französinnen oder Frankreich-Reisende verkörpern, wechseln die Protagonistinnen für jede Szene das Kleid, gibt es glänzende Einkaufstüten und Champagner.

„La Parisienne. Das neue Paris, die Stadt der Frauen“ von Lindsey Tramuta, Midas Verlag
„La Parisienne. Das neue Paris, die Stadt der Frauen“ von Lindsey Tramuta, Midas Verlag
Quelle: Midas Verlag

Nicht viel hat sich für Tramuta seit den 50er-Jahren verändert. „Zu viele Jahre lang habe ich geglaubt, dass ich nur den Trends folgen, eine bestimmte Tasche kaufen und mich selbst ausreichend im Fitnessstudio quälen muss, um in die vorgegebene Form zu passen und die ultimative Version meiner selbst zu werden“, schreibt sie in ihrem Buch. Eine Erkenntnis, die allerdings relativ folgenlos bleibt. Mit „La Parisienne“ tritt ein neuer-alter Mythos an die Stelle eines veralteten, eine Geschichte wiederholt sich im anderen Gewand: Frau sein muss am Ende doch immer in Konsum kippen.

Dieser Text ist aus der WELT AM SONNTAG. Wir liefern sie Ihnen gerne regelmäßig nach Hause.

Quelle: Welt am Sonntag



August 27, 2020 at 11:34AM
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Sophie Paris (Deutsch)

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